Prosopographische Untersuchungen römischer Priesterschaften sind nichts Neues. Über eine bloße Kompilation vorhandener Materialien und deren Vervollständigung hinaus verbindet sich mit dem methodischen Rahmen einer Sozialgeschichte der römischen Religion der Anspruch, auch die üblicherweise behandelten klassischen Priesterämter nicht nur im Rahmen individueller Karrieren, als Sprungbrett zum Konsulat etwa, zu betrachten. Der Versuch, das Zusammenspiel religiöser und politischer Institutionen insgesamt und die Rolle der Priester innerhalb des sozialen Systems "römische Religion" zu betrachten, fordert eine Verbreiterung und Absicherung der Datengrundlage, die eine kritische Aufarbeitung des prosopographischen Materials von den Quellen her notwendig machte. Darüber hinaus war immer klar, daß die Prosopographie nur ein Teil, wenn auch ein wichtiger und sicher der arbeitsintensivste Teil des Gesamtprojektes darstellt. Die Dokumentation der Datenerhebung erfolgte daher quellenorientiert: Die aufgeschlüsselte und kommentierte Quelle beziehungsweise ihre sprachliche Repräsentation bildet das Grundelement der Datensammlung. Das dazu verwendete Instrument, die Datei RRBDAT und ihr Erfassungsschema, haben wir Ihnen vor fünf Jahren hier vorgestellt; mit nur wenigen Modifikationen und Präzisierungen von Konventionen ist sie noch heute die Grundlage unserer Arbeit.
Die - lassen Sie mich übertreiben - universale Verwendbarkeit des Rasters, das auch für fast alle anderen Teilprojekte verwendet wurde so den allmählichen Aufbau einer einheitlichen und daher großen Fundgrube ermöglicht hat, besitzt natürlich auch Nachteile: Als direkte Arbeitsgrundlage einer Prosopographie kann sie kaum dienen; einfache Retrieval-Verfahren über Personennamen oder Ämter erbrächten keine handlichen Instrumente.
An dieser Stelle melden sich fachliche Probleme. In vielen Fällen bieten die Quellen keine direkten Aussagen über die Aufnahme priesterlicher Funktionen, ebenso kann das Datum des Austritts oder des Todes fehlen. Wäre es hinreichend, aus der sonstigen Karriere der betreffenden Person Wahrscheinlichkeiten für den Beginn und das Ende der Aktivitäten bzw. das Ableben zu formulieren, könnte man das gesamte Material alphabetisch anordnen und auf der Grundlage der personenweise zusammengestellten Quellen die Biographien verfassen. Leider - denkt man an die zusätzliche Arbeit -, aber auch erfreulicherweise - denkt man an den Gewinn an Sicherheit - geht es so nicht. Von den - für die republikanische Stichprobe - zweihundert Mitgliedern in den drei großen Kollegien der Pontifices, Auguren und Quindecimviri sacris faciundis überliefern die Quellen nur in 56 Fällen Eintritts- und Todesdatum. Priesterkollegien etwa besitzen nur eine begrenzte Anzahl von Plätzen, deren Besetzung bestimmten Regeln folgt: Das Verhältnis von Patriziern und Plebejern muß bestimmte Normen erfüllen, eine Familie soll normalerweise nicht doppelt repräsentiert sein; eine Reihe von Positionen kann überhaupt nur einfach besetzt werden.
Daraus folgt, daß eine Biographie, die sich die Rekonstruktion der Amtsperioden zum Ziel setzt, nie isoliert, sondern nur im Zusammenhang mit den Biographien der Kollegen, der potentiellen Vorgänger und Nachfolger geschrieben werden kann: Der 150 v. Chr. zum Pontifex maximus gewählte Patrizier Publius Cornelius Scipio Nasica Corculum dürfte zu diesem Zeitpunkt schon lange im Pontifikalkollegium gewesen sein; nach der Prätur von 165 kann er kaum lange auf die Kooptation gewartet haben. Andererseits gab es bis zum Beginn der 160er Jahre sicher keine freien Plätze für Patrizier: Nach dem Abbruch der Livianischen Überlieferung nach 167 v. Chr. können nur noch Wahrscheinlichkeiten zu der Entscheidung führen, den älteren, aber noch 167 bezeugten Fabius Labeo bald darauf sterben zu lassen und die Möglichkeit eines sonst unbekannten, nur kurze Zeit lebenden Nachfolgers zu verwerfen. Die mittlere Amtsdauer der sicher bezeugten pontifikalen Amtsperiooden von 18 Jahren bestätigt wenigstens im Aggregat die Umsichtigkeit der in der beschriebenen Weise gewonnenen Schätzungen, die einen Mittelwert von 19,75 Jahren aufweisen.
Für die Arbeitsgrundlage ergab sich daraus die Forderung nach einer automatischen Umsetzung der Quellensammlung in eine Form, die das Material chronologisch geordnet und nach Ämtern und Personen sortiert darbietet. Die quellenorientierten Datensätze werde unter entsprechender Vervielfältigung der allgemeinen Angaben nach Personen und Zeitpunkte auseinandergeschnitten und für bestimmte Ämter oder Ämtergruppen in chronologischer Folge, für jedes Jahr nach Ämtern, dann nach Personen sortiert, aufbereitet. Die Clusterbildung, also die Zusammenfassung in der beschriebenen Hinsicht interagierender Ämter, erfordert zwar sorgfältige Planung, sie ist aber, da sie ohne manuelle Eingriffe direkt aus der Quellensammlung erfolgt, reversibel und zu korrigieren.
Für das konkrete Projekt sei nur auf wenige Punkte hingewiesen.
Die verschiedenen Überlegungen führten zu folgender Struktur der Ergebnisdateien: Die primäre Darstellung der Ergebnisse erfolgt in einer streng alphabetisch angeordneten Reihe von Biographien, die einerseits ein starres Erfassungsraster vorgeben und so in der laufenden Arbeit einen schnellen selektiven Zugriff ermöglichen, andererseits in vielen Rubriken Raum für frei formulierte Argumentation gewähren. Das Erfassungsraster dient auch der Minimierung von Schreibarbeit. Je nach Ausgabezweck läßt sich darüber hinaus die Struktur in Steuerzeichen verwandeln, die interne Informationen herausfiltern und dem nur gelegentlichen Benutzer eine klar gegliederte, aber im Kern fortlaufend geschriebene und evident konventionalisierte Biographie liefern.
Auf den zur Identifizierung dienenden Namen folgen Verweise auf prosopographische Behandlungen und Angaben zum sozialen, gegebenenfalls ethnischen Status. Der Kern der Arbeit wird in den @6-8 dokumentiert: Lebensdaten, zeitlich möglichst genau bestimmte Sakralfunktionen und, wo es zutrifft, deren Ort in einer politischen Karriere. Hinweise auf sonstige religiöse Aktivitäten, die religiöse Biographie gewissermaßen, und schriftstellerische Tätigkeiten runden das Bild ab. Im Hintergrund der letzten Angabe steht die Frage, inwiefern die rituellen Spezialisten zugleich Theologen waren. Wie Sie an den zahlreichen Klammern erkennen können, die in ihrer Syntax der Standardoption von TUSTEP folgen, gibt es eine Fülle von "Registermarkierungen", die soweit wie möglich dem später sichtbaren Text entsprechen, in einzelnen Fällen aber auch stärker formalisiert sind und daher für die zu druckende Endausgabe unterdrückt werden. So stellt sich die Biographie für den Benutzer so dar: Der Referenzname dient als Überschrift. Eine als Marginalie gestaltete automatisch erzeugte laufende Nummer kann späteren Verweisen dienen; ihr Fehlen signalisiert, daß Thesen, die diese Person als Priester erweisen wollen, meines Erachtens fehlgehen. Die unterschiedlichen Informationselemente des Personenartikels sind optisch klar gegliedert, nach den Lebensdaten folgen in fortlaufendem Text die wichtigsten Daten; Argumentation ist weitgehend in die Fußnoten verlegt.
Deutlicher wird der Grad der Formalisierung, genauer: der Formalisierbarkeit, wenn die Biographie - wiederum ohne jede manuelle Zwischenstufe - in eine Form gebracht wird, in der sie direkt in ein Programm für statistische Analysen und Darstellungsformen gebracht werden kann, nämlich SPSS. Im Rahmen dieses Umwandlungsverfahrens werden über die Standardisierung und Formalisierung verschiedener Aussagen hinaus bereits eine Fülle von Hilfsvariablen errechnet, die etwa Angaben zur Amtsdauer enthalten, zu nur vermuteten ebenso wie zu - durch termini ante und post quem - gesicherten Perioden. Soweit das erforderlich ist, werden dabei auch die durch negative Zahlen repräsentierten Daten "vor Christi Geburt" in verrechenbare astronomische Daten verwandelt. Ohne meine mangelnden Kenntnisse von SPSS zu verhehlen - wir beginnen gerade erst mit Tests am vorliegenden Material - sei doch betont, daß gerade auch kompliziertere, von Kontextbedingungen abhängige Operationen in TUSTEP mit wenig Aufwand zu realisieren sind und das Prinzip so am besten verwirklicht wird, die Zahl der parallel zu pflegenden Dateien so gering wie möglich zu halten. Daß die Weiterverarbeitung mit einem Statistikprogramm sich dennoch lohnt, sei nicht verschwiegen. Über die reine Deskription des Materials hinaus läßt sich, wie gezeigt, auch die Kühnheit der eigenen Ergänzungen abschätzen. Das formalisierte Material ermöglicht auch die Überprüfung von Hypothesen. Um das noch mit bloßen Zwischenresultaten zu veranschaulichen: Mit 22,8 Jahren scheint die mittlere Amtsdauer von Patriziern signifikant höher zu liegen als die 17,4 Jahre bei Plebejern, das heißt, Kooptation erfolgte früher. Wertet man "literarische Aktivität" als Kriterium für theologische Reflexion - was zugegebenermaßen gewagt ist -, finden sich unter den Pontifices und Auguren signifikant mehr Theologen als unter den auf den Umgang mit griechischen Texten, den Sibyllinischen Büchern, spezialisierten Quindecimviri - was der herrschenden Meinung deutlich zuwiderläuft. Quer durch die Priesterschaften weisen weder Plebejer noch Patrizier eine höhere Affinität zur Theologie auf, wohl aber solche Personen, die wenigstens ein zweites Priesteramt bekleiden. - Was von diesen Hypothesen am Ende übrigbleiben wird, wage ich nicht zu prognostizieren; doch illustrieren sie vielleicht ebenso unsere Fragestellungen wie die Möglichkeiten, die die Materilaufbereitung bietet.
Dem zuvor beschworenen Prinzip der Beschränkung auf eine Grunddatei widerspricht eklatant die Existenz eines files, der die Grundlage für den zweiten Hauptteil der Ergebnispräsentation bildet, jährliche Listen aller für dieses Jahr bezeugten oder erschlossenen Amtsinhaber, geordnet nach Priesterschaften, darin nach dem Eintrittsdatum, also dem Dienstalter. Diese Darstellung ähnelt nicht nur antiken Formen der Dokumentation, sondern beleuchtet auch wichtige Charakteristika der Institution: Im Durchgang durch aufeinanderfolgende Jahre zeigt das Aufrücken der Namen vom letzten Platz des - durch halbfette Schrift markierten - Kooptationsjahres nach vorne den Gewinn an Autorität durch Anciennität; synchron wird die Komplexität kultischer Hierarchien und das reiche Nebeneinander der verschiedensten religiösen Kristallisationspunkte ebenso sichtbar wie die Quellenlage: Die kursiven Namen weisen auf nur postulierte Amtszeiten.
So schön das alles ist: Im Prinzip läßt sich diese Datei (mit wenigen Ausnahmen) automatisch aus den in den Biographien verschlüsselten Daten gewinnen. Was die manuelle Generierung und Pflege dieser zweiten Datei aus unserer Sicht notwendig macht, ist der beschriebene Prozeß der Biographienerstellung. Den allmählich wachsenden, Jahr für Jahr zu verfolgenden Zusammenstellungen der Kollegien, die auf einen Blick Mitgliedsfamilien und Todesfälle wie mögliche Mehrheiten bei der Nachwahl auf freie Plätze ausweisen, kommt ein hoher heuristischer Wert zu. Korrekturen und Datierungen entwickeln sich oft in diesem Instrument und werden erst in einem zweiten Schritt in die Biographien übertragen. Über die Neuinterpretation einzelner Zeugnisse und Biographien hinaus erweist sich gerade hier der Versuch, die Amtsperioden genauer zu bestimmen, als fruchtbar. Für die Zeit von 218 bis 167 erlaubten die Livianischen Notizen zu Todesfällen und Kooptationen von Priestern schon vor über hundert Jahren (Carl Bardt 1871) eine weitgehende Rekonstruktion der Zusammensetzung der wichtigsten Kollegien. Die ganz verstreuten Nachrichten aus der Folgezeit gaben bislang trotz der vollständigen Aufzählung der hier genannten Personen kein Bild von der Entwicklung der Kollegien bis in die nachsullanische Zeit. Hier können wir nun wenigstens hypothetisch den größeren Teil der Mitgliedschaften in den Kollegien, zumal der Pontifices und Auguren, für die gesamte Zeit rekonstruieren. Die Einbettung der oft exponiert agierenden Pontifices maximi in ihr Kollegium wird deutlich, die Kollegienvergrößerungen Sullas gewinnen in den Namen seiner mit Priesterämtern belohnten Offiziere und Helfer Profil.
Wenn ich noch ein paar Worte zum TUSTEP-Einsatz verliere, möchte ich mich bei vielem, was nach nunmehr fünf Jahren Arbeit im Projekt zu sagen wäre, auf zwei Punkte beschränken: In der vorgeführten Verbindung von Texten und datenbankähnlichen Strukturen eröffnen die Programme Möglichkeiten zur Strukturierung von Daten und zur Prüfung von Kohärenz, die nicht nur für die Verfasser, sondern auch für die Benutzer den Hypothesencharakter althistorischer Forschung durchsichtiger machen können. Die Flexibilität der Dateien bietet aber auch ganz praktische Vorteile: Mit Hilfe eines kleinen Pools von Programmen und einem Angebot an selbstdefinierten Makros stehen für Texte und Datensammlungen verschiedenen Typs innerhalb des Projektes fertige Rahmen zur Verfügung, die unaufwendiges Arbeiten ermöglichen; bibliographische Daten lassen sich ebenso in strukturierte Datensammlungen wie normale Texte automatisch einblenden oder zu Bibliographien zusammenstellen; Datenaustausch zwischen verschiedenen Texttypen gestaltet sich problemlos. Zugleich fällt aus der quellenarmen Zeit ein Licht auf die Quellenstruktur der vorangegangenen und der folgenden Zeit: Die Struktur der Überlieferung religiöser Daten besitzt aber hohe Bedeutung für die Frage der Entstehung der republikanischen Geschichtsschreibung und den Verwaltungsstrukturen wie dem Geschichtsbild kaiserzeitlicher Vereine.
Stand: 21.04.95 - apsinfo@www.uni-tuebingen.de